Was tun, wenn Mr. Wut explodiert: wir haben eine Expertin gefragt

Seit Jahren schon erträume ich mir für mein Heim die gleiche entspannte, duftende Atmospäre eines Luxus Spas. Das jähe Zornesgebrüll meiner Töchter holt mich schließlich in die Realität meiner 5-köpfigen Familie  zurück! Die 2 jährige Amelia, die an einem ständig einstürzenden Klötzchenturm verzweifelt. Bianca, deren kindliche Wut mit ihren 6 Jahren immer noch häufig überschäumt – vor allem, wenn es um ihre Mathehausaufgaben geht. Isabella, nun bald 1 Jahr alt, die ihren großen Schwestern erst mit offenem Mund zuschaut, um dann selbst in ein ohrenbetäubendes Geheul auszubrechen!

Warum werden unsere Kinder so schnell zornig und verlieren sich so leicht in heftigen Wutattacken? Am Ende bringt mir meine Tochter Bianca selbst die Antwort auf meine unbeantworteten Fragen in Form eines Flyers von der Schule mit nach Hause. Wir Eltern werden darauf zu einer Begegnung mit der Kinder- und Familientherapeutin Francesca Broccoli eingeladen, um Licht in das Dunkel der kindlichen Wutanfälle zu bringen. Erleichtert beschließe ich, an dem Treffen teilzunehmen.

Ich begegne einer jungen Frau, die selbst Mutter eines 2 jährigen Kindes ist. Ihre kindliche Ausstrahlung zieht uns auf angenehme Weise in ihren Bann, während sie ungezwungen aber fachlich fundiert über das Thema zu reden beginnt.

Die Wut unserer Kinder hilft ihnen dabei, groß zu werden. Überspitzt formuliert, könnten sie ohne diese Empfindung nicht überleben! Betrachten wir die  frühkindliche Entwicklung des Menschen genauer, sehen wir, wie wichtig diese Emotion für die ersten Lebensjahre ist – eben genau in dem Zeitraum, der uns Eltern die meiste Geduld abverlangt!

Während der ersten Lebensmonate „wütet“ das Neugeborene, um die Aufmerksamkeit seiner Eltern auf sich zu lenken, wenn ihm etwas unangenehm ist, oder es ganz einfach Hunger hat. In diesem Sinne ist die Wut also auch lebensnotwendig!

Im Laufe des Heranwachsens begegnen den Kindern dann ständig neue Situationen, wobei ihnen die Wut hilft, sie auch zu meistern. Denn diese schwer zu kontrollierende Emotion gibt uns gleichzeitig Energie, Kraft und Entschiedenheit, um uns von den ersten Fehlversuchen und Schwierigkeiten des Groß-Werdens nicht unterkriegen zu lassen.

In der berühmten „Trotzkopfphase“ gegen Ende des zweiten Lebensjahres, durchleben die Kinder einen wichtigen und prägenden Prozeß:  es beginnt die psychologische Loslösung von den Bezugspersonen, während sich das ICH, in Beziehung zum Rest der Welt als Individuum abzugrenzen beginnt. Nicht umsont ist es meist um diesen Zeitpunkt herum, dass die kindlichen Wutattacken ihren ersten Höhepunkt erleben. Diese Zeit artet für Eltern und Kinder häufig zu einem wahren Kräftemessen aus, wobei die gefürchteten Trotzattacken „lediglich“ dazu dienen, auszuprobieren, was es heißt, ein eigenständiges, selbstbestimmtes Wesen zu sein.

Unbändiges Geheul, schlichte Verweigerung, Treten und Beißen: es ist manchmal wirklich beeindruckend, welche Kraft die Kleinen in jene „Provokationen“ stecken!

Gleichzeitig scheitern die Kinder in diesem Zeitraum andauernd bei dem Wunsch alles „selber“ machen zu wollen, und müssen so, Wohl oder Übel, ihre eigenen Grenzen begreifen lernen. Dabei sind sie noch zu klein, um diese frustrierende Entdeckung wirklich verarbeiten zu können. Die einfachste, schmerzfreieste und schnellste Lösung, um den ständigen Fehlversuchen zu begegnen, besteht für sie darin, gegen jemand anderen zu „wüten“!

In den folgenden Jahren kommt die Wut noch in vielen weiteren Situationen ins Spiel: in der Beziehung zu Gleichaltrigen, in der Fähigkeit zur Selbstkontrolle, in der Anerkennung der gemeinschaftlichen Regeln.

Die Wut ist für Menschen aller Altersgruppen eine wichtige Emotion, um uns vor Enttäuschungen und Leid zu schützen. Sie gibt uns Distanz. Sie gibt uns die Kraft, uns nicht zu klein zu fühlen, gegenüber einer nicht immer wohlgesinnten Welt. Sie dient auch dazu,  auszuprobieren, wie wir mit anderen Menschen umzugehen haben, und zu „experimentieren“. Inwieweit experimentieren? In dem Sinne, dass auch das kontrollierte „wütend werden“ gelernt werden will. Seinen eigenen Unmut auf höfliche Weise zu äußern, ohne gleich zum Zerstörer zu mutieren, wie es in den ersten Kinderjahren noch geschieht, bedarf sehr viel Übung. Es braucht unzähliger Versuche, um zu lernen, wie man sich am besten selber kontrolliert und seinem Gegenüber auf verständliche Art und Weise klar macht, was einen gerade zur Weißglut getrieben hat. Das ist ein sehr schwieriger Entwicklungsprozess.

Wir Erwachsene müssen unsere Kinder in diesem Prozess unterstützen, um ihnen zu helfen, innerlich zu wachsen.  Das heißt nicht, von Ihnen zu verlangen, niemals wütend zu werden. Aus Elternsicht wäre das vielleicht erstrebenswert, aber unseren Kleinen würde das nicht weiterhelfen und wäre wohl auch kaum realistisch. Wir Eltern müssen jedoch ebenso wenig jeden Trotzanfall unserer Kinder über uns „ergehen“ lassen. Vielmehr geht es darum, jenes sensible Gleichgewicht zwischen auffangenden Regeln und empathischem Verständnis für die Gefühlswelt unserer Kinder zu finden. Ihnen gleichzeitig zu helfen, sich wieder zu beruhigen. Genauso wichtig ist, das Kind dann positiv zu bestärken. „Das war ganz toll von dir, dass du die Ruhe bewahrt hast.“

Den Gefühlen unserer Kinder sollte immer die notwendige Beachtung geschenkt werden. „Das ist bestimmt nicht leicht für Dich, der Mamma beim Stillen von deinem Brüderchen zuzugucken. Wahrscheinlich würde mich das auch wütend machen.“ Inakzeptabeles muss aber auch unterstrichen werden. „Es wird nicht gehauen. Wir schlagen niemals andere Personen, es gibt viele andere Möglichkeiten, auszudrücken, wenn dir etwas nicht passt, aber nicht mit den Fäusten.“ Auch wenn es physiologisch gesehen völlig normal ist, dass ein 2-3 jähriges Kind seine Wut körperlich äußert. Gemeinsam eine Lösung zu finden, ist dann immer wichtig. „Was können wir beim nächsten mal machen, wenn du mit Paul spielen möchtest, er aber seinen Turm alleine bauen möchte?“.

Das Thema Wut könnte hier noch sehr viel weiter vertieft werden, aber was mir besonders am Herzen liegt, ist der spielerische Umgang mit den Emotionen unserer Kinder. Wenn wir ihre Gefühle besser verstehen wollen, über sie reden und an ihnen arbeiten möchten, kann das nur über das „Spielen“ geschehen. Dabei verstehe ich „Spielen“ im weiten Sinne. Unsere Kinder lernen anfänglich alles über das Spielen. Spielen ist ihre Sprache, ihre Art, die Welt zu erfahren und sich mit ihr in Beziehung zu setzen. Somit muss auch das Sprechen über Wut logischerweise „spielerisch“ geschehen. Dabei können wir richtige Spiele verwenden, aber auch Bilder, Märchen oder Lieder…

Fakt ist, dass die Wut eine wichtige und nützliche Gefühlsäußerung ist. Sie zu kontrollieren und adäquat auszudrücken, ist ein schwieriger und langer Lernprozess, der manchmal ein Leben lang dauern kann. Wenn wir jedoch früh genug beginnen, mit dieser Emotion zu „arbeiten“, können wir sie später auch besser kanalisieren!“

Francesa Broccoli, Psychologin und Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Kinder- und Familientherapie.

 

 

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