„Schau mal Mama, wie viel Brombeeren wir gesammelt haben???“ Lu, Jack und ihre Freundin Bianca kommen zerzaust und verschwitzt von ihrem Streifzug durch das anliegende Wäldchen durch die Tür gestürmt. Die Schulferien haben hier in Italien schon längst angefangen und jetzt liegt ein langer Sommer, mit seinem Duft nach Abenteuer und Freiheit, vor ihnen. Letztes Jahr war mein Jüngster mit seinen kaum Vier noch voll auf Mama konzentriert. Dieses Jahr ist er dafür als „ganz Großer“ inzwischen mit von der Truppe, die unsere Wohngemeinschaft in einem ehemaligen Bergbauernhof mit Blick auf Bologna und die weite Poebene auf Trapp hält. Als Kind habe ich Astrid Lindgrens „Die Kinder von Bullerbü“ geliebt! Heute schaue ich meinen Kindern beim gemächlichen „Großwerden“ in einem atemberaubenden Naturkontext, meist glücklich, manchmal nachdenklich, zu. Eine Kindheit im Zeichen des Slow Lifestyle. Soweit das heute überhaupt noch möglich ist!
Unbeschwerte Kindheitserinnerungen! Das wünschen sich alle Eltern für ihre Kinder! Wenn es um das Wohlergehen unseres Nachwuchses geht, sind wir Millenials ständig darum bemüht, keinen Wunsch unerfüllt zu lassen. Beschützen heißt für uns oft, LANGEWEILE bei den Kleinen erst gar nicht aufkommen zu lassen!
Wir fördern unsere Kinder von der Wiege an, überzeugt davon, dass vor allem Babyschwimmen, Mutter- Kind- Yoga und Pekip- Gruppen Babys glücklich machen und unerlässlich für eine stabile Eltern- Kind- Beziehung sind. Zu meinen Berliner Zeiten habe ich immer über das enorme Baby-Bespassungs-Angebot meiner Heimatstadt gestaunt. Stattdessen hatte ICH in den ersten sechs Monaten Babytrubel schon genug damit zu tun, mich und meine Süße, (halbwegs präsentabel) für unsere tägliche Kinderwagen-Runde durch den Kreuzberger Viktoria-Park zurechtzumachen!!!
Der straff organisierte Terminplan heutiger Neugeborener und Kleinkinder erinnert hingegen oft an jene der Super-Manager aus Politik und Wirtschaft:
7.00 Frühstücksbreichen
8.30 Baby- Massage für Einsteiger
10.00 Spaziergang im Park
12.00 Uhr Mittagsbreichen
13.00 Uhr Mittagsschlaf
15.00 Krabbelgruppe
17.00 Baby- Schwimmen für Fortgeschrittene
17.30 Abendbreichen
18.00 Schlafenszeit
Das Tempo nimmt mit dem Heranwachsen und den vermehrten schulischen Verpflichtungen nebst außerschulischer Aktivitäten noch rasant zu! Wenn sich dann im täglichen Wettlauf mit der Zeit auf einmal ein noch nicht verplantes Zeitfenster im kindlichen Alltag auftut, macht sich schnell LANGEWEILE breit. Kinderfernsehen, Videospiele und der Griff zum Tablet oder Smartphone gehören in unserer digitalisierten Welt inzwischen zum ganz normalen, passiven Zeitvertreib unserer Kinder.
“Mama uns ist LANGWEILIG, spielst Du mit uns???“, höre ich in diesen Tagen oft, noch bevor sich die kindliche Fantasie überhaupt auf die Reise ins Nimmerland machen konnte. „Warum probt ihr nicht eine tolle Kuscheltier- Modenschau, die ihr mir später vorführt?“, versuche ich ihrer Kreativität auf die Sprünge zu helfen. Mamas Arbeit aus dem Home Office, lässt sich leider auch in drei Monaten Sommerferien nicht immer aufschieben. Natürlich ernte ich zunächst trotzige Schmollschnuten, aber 10 Minuten später höre ich Lu und Jack eifrig im Kinderzimmer rumhantieren…bei dem Versuch, ihr Zimmer in einen Catwalk für übergewichte Kuschelhasen zu verwandeln.
Ich selber bin davon überzeugt, dass ein bisschen LANGEWEILE im oft viel zu schnellen Alltag unserer High- Tech- Kinder nicht fehlen darf. Um der Fantasie Flügel wachsen zu lassen! Um das kreative Spielen nicht zu verlernen! Um den Wert von wahrer Freundschaften zu entdecken! Unsere Kinder bereiten sich mit Spielen auf das spätere Leben vor: sich vertragen nach dem Streit mit der besten Freundin. Das heimlich beneidete und schließlich abgeluchste Spielauto. Grenzen austesten. Über sich hinauswachsen. Kompromisse eingehen.
Dabei reichen meist ganz einfache Dinge, um zu einem Riesenabenteuer zu werden! Vertrocknete Blätter werden zu Piratenbooten auf der Schlammpfütze, die Höhle aus Decken wird zur Räuberburg (oder der geheimen Basis von Superagenten mit Superkräften) und mit den Prinzessinenkleidern aus Mamas Kleiderschrank lassen sich die besten Modeschauen veranstalten 🙂
Löcher in die Luft gucken, auf der Hängematte träumen, Zeit „erleben“ und eigenständig ausfüllen. All das gehört für mich zum „Kindsein“ mit dazu! Als Mutter selber „loszulassen“ und in die Fähigkeiten meiner Kinder zu vertrauen, ohne jede Minute ihres Lebens für sie gestalten zu wollen, musste ich in den letzten Jahren selber erst lernen. Klar spiele ich gerne mit meinen Kindern, und ich nehme mir auch die Zeit dazu. Aber ich habe heute kein schlechtes Gewissen mehr, wenn das nicht immer möglich ist, denn ich weiß: Spielen können sie viel besser als ich! Und ja: LANGEWEILE verleiht manchmal auch Flügel!
Sobald die Hitze am Nachmittag abflaut, trollen sich die Kids wieder in den Garten, auf der Suche nach den Nachbarskindern und neuen Abenteuern die bestanden werden müssen. Der Wind hat aufgefrischt und ich höre ihre fröhlichen Rufe aus dem angrenzenden Wäldchen. Die Sonne geht langsam in der Ferne über den ziegelroten Dächern Bolognas unter und ich versuche mir diesen Moment ganz fest einzuprägen: genauso habe ich es mir immer für meine Kinder gewünscht!